Eine Jugendliche sitzt auf einer Treppe und verspeist einen Algensalat.
Ein Algensalat als Snack für Zwischendurch: Das Meer bietet viele ungenutzte gesunde Ressourcen. Foto: Adobe Stock

Future Food

Quallensalat und Seegurkensuppe: Kommt das Essen der Zukunft aus dem Meer?

11.01.2023 | Lesedauer: 7 Minuten

Meer-Alternativen wagen

Mehr als acht Milliarden Menschen ernähren und dies auf umweltfreundlichem Weg – das ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft. Die zunehmende Trinkwasserknappheit, ausgelaugte Agrarflächen sowie leergefischte Meere verlangen immer mehr nach neuen Ernährungsformen. Getüftelt wird bereits an unkonventionellen Produkten wie Insekten-Burgern oder Fleisch aus dem Reagenzglas. Ein vielleicht verkanntes Potenzial schlummert allerdings in den Meeren.

71 Prozent der Erdoberfläche wird von Meeren bedeckt. In dieser immensen Fläche tummeln sich einige Nahrungsmittel, die bisher nur wenig Aufmerksamkeit erhalten. Exotische Tiere wie die Qualle, die Seegurke, aber auch Algen könnten in ein paar Jahren so normal sein wie Muschel oder Hering. Denn Forscher*innen und experimentierfreudige Köch*innen versuchen, das kulinarische Angebot – gerade auf den europäischen Tellern – um Meer-Alternativen zu erweitern.

Welchen Nahrungsquellen misst die Forschung große Bedeutung bei?

Nährstoffreiches aus den Meeren mit Welternährungspotenzial

Qualle: ein reichlich vorhandenes Superfood

Ein weißer Teller mit drei Sushi-Röllchen.
Die Meeresfrucht Medusa, hier als Sushi-Röllchen in der Mitte, ist äußerst gesund, doch für unsere Essgewohnheiten (noch) ungewohnt. Foto: Adobe Stock

Quallen sind Nesseltiere, die zu 97 Prozent aus Wasser bestehen. Doch ihre Trockenmasse hat es in sich: Nährstofftechnisch bietet die Qualle jede Menge Eiweiß, gesunde Fette, Spurenelemente, Antioxidantien – und nur wenige Kalorien. „Eine Qualle kann, was zum Beispiel Proteine und ungesättigte Fettsäuren anbelangt, mit anderen Meeresfrüchten mithalten“, sagt der Meeresbiologe Holger Kühnhold. In dem Kooperationsprojekt der Leibniz-Gemeinschaft „food4future“ widmet sich Kühnhold diesen noch weitgehend ungenutzten aber reichlich vorhandenen Meeresbewohner*innen.

Das am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel koordinierte Projekt GoJelly möchte die Qualle ebenfalls stärker nutzen und eine Eignung als Mikroplastikfilter, Dünger oder Fischfutter untersuchen. Sechs Millionen Euro steuert die EU bei. „Allein die eingeschleppte amerikanische Rippenqualle kommt in europäischen Gewässern auf eine Biomasse von einer Milliarde Tonnen“, erklärt Dr. Jamileh Javidpour, Initiatorin und Koordinatorin von GoJelly. „Erste Studien haben gezeigt, dass Schleim von Quallen Mikroplastik binden kann. Wir wollen also ausprobieren, ob aus Quallen Biofilter hergestellt werden können.“

Auch an die Nahrungsmittelproduktion haben die Forscher*innen in Kiel gedacht. „Wenn das Endprodukt nicht mehr glibberig ist, könnte es auch allgemein eine größere Akzeptanz erlangen“, glaubt Javidpour. Denn während die Medusen in vielen Teilen Asiens ganz selbstverständlich als Delikatesse verzehrt werden, hält sich die westliche Esskultur noch zurück. Es braucht vielleicht im ersten Schritt eine Annäherung, etwa in Form von Chips oder Proteinpulver.

Halophyten: die salztoleranten, robusten Pflanzen

Ein dunkler Teller voll mit europäischem Queller und ein paar Knoblauchzehen.
Halophyten (hier der europäische Queller) sehen nicht nur schön aus, sie schmecken auch gut und wachsen unter salzigen Bedingungen. Foto: Adobe Stock

Meerfenchel, Herzblattsalat, Eiskraut oder Strandflieder – die Namen klingen vielversprechend. Bei diesen drei Gewächsen handelt es sich um Halophyten. Dies sind Pflanzen, die im Salzwasser überleben. In der Regel wachsen sie in warmen Küstenregionen, zum Beispiel in Südafrika. Aber es gibt auch europäische Arten. Bislang spielten sie kaum eine Rolle in der Ernährung, doch das Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) untersucht verstärkt, wie man das ändern kann.

Ein Kandidat, der hierzulande schon heute als Nahrungsmittel erhältlich ist, ist der Meeresspargel, auch europäischer Queller genannt. Er bildet in den Wattbereichen der Nord- und Ostsee, an der Atlantikküste sowie im Mittelmeerraum große Bestände. Gegessen wird in der Regel nur der fleischige, oberirdische Teil der Pflanze. Meist wird er frisch verkauft, er ist aber auch eingelegt und getrocknet erhältlich.

„Salzpflanzen haben viele günstige bioaktive Inhaltsstoffe“, so die Lebensmittelchemikerin Susanne Baldermann vom IGZ. Sie seien eine gute Quelle für Eiweiße und damit eine Alternative zu tierischem Eiweiß. Auch in puncto Kultivierung punkten die Halophyten: Denn die Böden versalzen immer mehr und Pflanzen sind erhöhtem Stress ausgesetzt. Da Halophyten salzhaltigen Böden und Salzwasser gut angepasst sind, könnten sie einen wichtigen Beitrag leisten, um die weltweite Ernährung zu sichern. Das IGZ arbeitet daran, komplett neue Orte zur Kultivierung erschließen, etwa ungenutzte Tunnel oder Industriebrachen.

Grüner Kaviar: die gesunden Algenkügelchen

Eine weiße Schale mit einem Salat aus grünem Kaviar und Gemüse.
Der Grüne Kaviar, eine Algenart, steckt voller Nährstoffe und lässt sich gut in Aquakulturen züchten. Foto: Adobe Stock

Algen weisen ein sehr breites Spektrum an nützlichen Inhaltsstoffen auf. In Asien sind sie fester Bestandteil der Ernährung und auch hierzulande kennen sie die meisten als Hülle beim Sushi oder als Beigabe zur Miso-Suppe.

Am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) wird an einer Algenart geforscht, die umgangssprachlich „Grüner Kaviar“ oder auch „Meerestraube“ genannt wird. Die kleinen, runden Kugeln schmecken leicht salzig und zerplatzen im Mund wie Kaviar. Sie stecken voller Proteine, Mineralstoffe, Antioxidantien und mehrfach ungesättigter Fettsäuren.

Die Aquakultur von Meerestrauben wurde in den 1950er Jahren eher zufällig begonnen, als Fisch-Farmer*innen auf den Philippinen feststellten, dass diese Algen in Fischteichen gut wachsen können. In Japan, Vietnam und China sind Meerestrauben sehr gefragt und werden dort roh mit verschiedenen Soßen, im Salat oder zu Sushi gegessen. In Europa warten sie noch auf ihren großen Durchbruch.

Seegurke: eine nährstoffreiche, (noch) teure Delikatesse

Eine weiße Suppenschale, gefüllt mit einer Suppe und einer Seegurke.
Die Seegurke hat viele Spitznamen. Ihr Potenzial als zukünftiges gängiges Nahrungsmittel soll – wie beim Grünen Kaviar – in Aquakulturen erforscht werden. Foto: Adobe Stock

Zu guter Letzt sei noch ein sonderbares Geschöpf erwähnt – die Seegurke. Seegurken könnten künftig in Aquakulturen gezüchtet werden. Sie helfen dabei, das Gleichgewicht in Gewässern zu stabilisieren: Als „Staubsauger der Meere“ verstoffwechseln sie Abwässer, die ins Meer gelangen. Somit leisten sie Umweltschutz.

In Asien gilt die Seegurke als äußerst gesunde Delikatesse. „Ginseng des Meeres“ lautet die Übersetzung des chinesischen Worts für Seegurke, denn sie bietet reichlich Proteine sowie Spurenelemente. Seegurken sind zwar sehr gesund, aber auch sehr teuer. 900 Euro pro Kilogramm kosten die Kleinen mit den großen Warzen. Und weil sie so wertvoll sind, werden sie gejagt, legal und illegal. Weltweit werden mehr als 70 der etwa 1.200 Seegurkenarten befischt, was die Bestände dramatisch reduziert hat. Als Nahrungsmittel für Europäer*innen eignet sie sich mit dieser Fangmethode daher nicht. Die Bestände reichen gerade Mal so für die Menschen, die sie vor Ort im Meer fangen können.

 

Das Meer birgt zahlreiche, noch ungenutzte Lebensmittelressourcen für die wachsende Erdbevölkerung. Neben der Kultivierung der Pflanzen und Tiere wird am Ende vor allem unsere Esskultur dafür entscheidend sein, ob sich all das Meer-Superfood auf unseren Tellern durchsetzt.

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